Psychische Erkrankung und Arbeit

Etwa 400 000 bis 500 000 Menschen im erwerbsfähigen Alter sind aktuell in Deutschland von schweren chronisch verlaufenden psychischen Erkrankungen betroffen. Maximal zehn Prozent sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voll- oder teilzeitbeschäftigt und rund 20 Prozent haben einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für Behinderte Menschen. Weitere 20 Prozent verteilen sich auf berufliche Trainings- oder Reha-Maßnahmen und Hilfsangebote mit geringer Beschäftigung. Die Hälfte aller chronisch psychisch Kranken ist ohne Arbeits- oder Beschäftigungsangebot, so der Zwischenbericht der „Bestandsaufnahme zur Rehabilitation psychisch Kranker".  

Im Berliner Bezirk Spandau mit ca. 230.000 Einwohnern sind (je nach Definition) ca. 1150 - 1800 erwachsene Menschen chronisch psychisch krank.  Mit einem lang dauernden schweren Krankheitsverlauf ist in den meisten Fällen eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit verbunden.  Infolge ihrer Erkrankung sind diese Menschen vielfach nicht in der Lage, einer geregelten Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Oft sind sie dem Leistungs- und Anpassungsdruck des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht gewachsen oder es kommt zu Missverständnissen oder Konflikten mit den Arbeitskollegen. Die Folge ist dann häufig der Verlust des Arbeitsplatzes durch Kündigung.  Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw. einer von vorn herein gescheiterten Berufsausübung geht oft eine schwere Selbstwertkrise einher und den psychisch kranken Menschen fehlt die Grundlage für eine sinnvolle Beschäftigung und Tagesstrukturierung. Dies bringt die Gefahr einer weiteren Verschlechterung des Krankheitsverlaufs und weiterer sozialer Ausgrenzung mit sich.


Unsere Überlegungen


Arbeit und sinnvolle Beschäftigung haben für die meisten psychisch kranken Menschen nach wie vor einen hohen Stellenwert. Fachlich ist unumstritten, dass sich solche Beschäftigungen – wenn sie auf die Beeinträchtigungen durch die Erkrankung Rücksicht nehmen - stabilisierend auf den Gesundheitszustand auswirken, das Selbstwertgefühl stärken und den Menschen das Gefühl geben, sich gesellschaftlich anerkannt nützlich zu betätigen. Hierbei können sie auch fachliche und soziale Fähigkeiten (wieder) erlernen.  Als Alternativen zur Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurden (nicht nur) in Berlin eine Reihe von Integrationsfirmen gegründet und niedrigschwellige Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, die die besonderen Schwierigkeiten psychisch kranker Menschen berücksichtigen und eine sinnvolle Beschäftigung und eine geregelte Tagesstruktur ermöglichen. Hier werden sie unter fachlicher und sozialpädagogischer Anleitung an Arbeitsprozesse herangeführt. Wir haben uns daher entschlossen, ein solches Beschäftigungsprojekt aufzubauen.

Das FAIRKAUFHAUS  Neben kleinen internen Beschäftigungsprojekten wurde schon früh die Idee eines Second-Hand-Ladens für  Kleidung geboren. Dies bot sich an, da uns das DRK Spandau einen Teil seiner Altkleidersammlung zur Verfügung stellte. Aus dieser Idee entwickelte sich in einer längeren Planungsphase das FAIRKAUFHAUS mit einem erweiterten Warenangebot und einer Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsplätze. Durch Besuche einiger Sozialkaufhäuser im süddeutschen Raum (in denen vorwiegend Langzeitarbeitslose arbeiten) wurden wir angeregt, ein Gebrauchtwarenkaufhaus in Berlin aufzubauen. Es sollten allerdings keine zeitlich befristeten Arbeitsplätze sein wie bei den Beschäftigungsprogrammen der Bundesagentur für Arbeit und auch keine Werkstatt für behinderte Menschen mit ihren relativ hohen Anforderungen (mind. 30 Std/Wo und Beendigung der Maßnahme beim Überschreiten bestimmter Fehlzeiten). Dies erschien uns für viele unserer psychisch kranken Menschen ungeeignet.  Wir wollen uns mit unserem Projekt an deren Möglichkeiten, aber auch den zu erwartenden Einschränkungen orientieren und die Arbeitsbedingungen so flexibel wie möglich gestalten, um allen, die den Wunsch nach einer Beschäftigung haben, die Chance hierzu zu bieten. Und wir wollen sie vor allem auch möglichst dauerhaft beschäftigen, um ihnen langfristig eine stabile (Tages-)Struktur und sinnvolle Betätigung zu ermöglichen. So gibt es im FAIRKAUFHAUS Arbeitszeiten von 3 bis ca. 18 Std/Wo. Dabei spielen sowohl die konkrete Leistungsfähigkeit als auch die Obergrenze durch die Zuverdienstmöglichkeiten der Einzelnen eine Rolle (Die meisten finanzieren ihren Lebensunterhalt mit Leistungen der JobCenter oder der Sozialämter und hier gibt es bestimmte Zuverdienstfreibeträge). Auch längere Fehlzeiten aufgrund der Erkrankung führen bei uns nicht zwangsläufig zu einem Verlust der Beschäftigung. Wir sehen im Gegenteil gerade hier die Notwendigkeit, den Menschen die Sicherheit zu geben, auch danach wieder einer Tätigkeit nachgehen zu können.  
Es ist dabei ein Ziel unseres Beschäftigungsangebotes, einen Teil der hier arbeitenden Menschen langfristig zu befähigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden. Für diejenigen, die diese Ziele nicht erreichen können, soll eine dauerhafte niedrigschwellige Beschäftigung im FAIRKAUFHAUS möglich sein. Unerlässliche Voraussetzung für ein solches Arbeitsprojekt ist eine gute fachliche Anleitung und sozialpädagogische Betreuung. Nur so können die ‚Zuverdiener’ die notwendigen Fertigkeiten erlernen und bei auftretenden Schwierigkeiten beraten und unterstützt werden. Daher beschäftigt das FAIRKAUFHAUS auch sozialpädagogische Anleiter und Fachkräfte unterschiedlicher Berufsgruppen.  

Die Einzigartigkeit des FAIRKAUFHAUSES besteht auch darin, dass erstmals in Berlin ein Beschäftigungsprojekt für psychisch kranke Menschen in diesem Sektor entsteht, das mit seiner Größe und seinem Ambiente eher an ein kleines Kaufhaus als an einen Trödelladen erinnert. In einer hellen, freundlichen Atmosphäre werden die Waren übersichtlich präsentiert, sodass sich die Kunden beim Stöbern und Kaufen wohl fühlen und die Mitarbeiter sich positiv mit ihrer Arbeitsstätte identifizieren können.


UNSERE PHILOSOPHIE

FAIR
ist das Kaufhaus gegenüber den psychisch kranken Menschen,
         denen es eine Chance zur Beschäftigung gibt.


FAIR
ist das Kaufhaus gegenüber den Kunden durch günstige Preise
         und Konditionen
.


FAIR
ist das Kaufhaus gegenüber der Umwelt, weil es für gut
         erhaltene Dinge eine sinnvolle Weiterverwendung ermöglicht.